Geschichte erzeugt Verantwortung – Vortrag am Antoniuskolleg anlässlich der Reichspogromnacht 1938

Im November 1938 ist Deutschland durchzogen von Hass: In unzähligen Städten und Gemeinden werden Juden gedemütigt, aus ihren Häusern vertrieben, werden ihre Besitztümer zerstört oder geraubt. Die nationalsozialistische Ideologie entfaltet sich ungehemmt, Täter sind meist Nachbarn, Anwohner und Menschen des unmittelbaren Umfeldes. Symbolischer Höhepunkt dieser Zeit ist die Reichspogromnacht am 09. November 1938.

Die Zeit dieses unmittelbaren, ungebremsten Hasses ist mittlerweile lange vergangen, die Welt hat sich weiterentwickelt, und gerade die Menschen in Europa leben seit vielen Jahrzehnten in einer zumeist friedlichen Gesellschaft. Doch gerade das macht deutlich, wie groß die Verantwortung nachfolgender Generationen ist, dass das so bleibt. Für diese Verantwortung gilt es, gerade uns anvertrauten Schülerinnen und Schüler immer wieder zu sensibilisieren, damit sie diese Verantwortung gemeinsam mit uns tragen und leben können. Nicht zuletzt die fortwährende Gefahr antisemitischen Gedankenguts macht eine solche Sensibilität notwendig.

Am Donnerstag, dem 04. November 2021 war – organisiert von Lehrer Michael Jansen – der Journalist Sven Felix Kellerhoff für einen Vortrag über die Reichspogromnacht am AK zu Gast. Kellerhoff ist leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte bei der Zeitung Die Welt sowie bei der Berliner Morgenpost und gilt durchaus als Experte in Fragen des Holocausts und dessen Aufarbeitung.

In der Kapelle der Schule zeigte der Journalist in zwei Vorträgen, wie sich der Antisemitismus gerade außerhalb der großen Städte entfaltete. Kellerhoff schilderte eindringlich die erschreckende Selbstverständlichkeit des Judenhasses in Deutschland im November 1938: Hinter dem oft so abstrakten Begriff des November-Pogroms verbargen sich persönliche Tragödien mit einschneidenden Folgen für das Zusammenleben in den Dörfern und Gemeinden.

Abgebildet wurden die furchtbaren Ereignisse für die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe Q2 (Kurse Deutsch, Geschichte, Pädagogik) am Beispiel des rheinhessischen Dorfes Guntersblum. Die augenscheinliche Niedrigschwelligkeit des Hasses wirkt im Rückblick gerade deshalb besonders beängstigend, weil Opfer und Täter sich hier kannten und jahrelang gemeinsam gelebt hatten.

Besonders eine Sache machte Kellerhoffs Vortrag deutlich: Ein Wegschieben von Verantwortung unter dem Deckmantel der Aussage „Das haben wir nicht gewusst!“ kann es angesichts der Geschichte nicht geben. Gerade dieser oft reflexhafte Versuch der Menschen damals macht es heute umso wichtiger, darauf zu achten, dass sich Ereignisse und Denken dieser Art nie wiederholen. Dafür tragen wir alle jeden Tag aufs Neue die Verantwortung.

Im Anschluss an den Vortrag hatten die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, Kellerhoff Fragen zu stellen, die sowohl die historische Dimension seiner Arbeit als auch das Berufsfeld „Journalismus“ berührten. Es war erfreulich und in gewisser Weise beruhigend, zu sehen, wie informiert und interessiert die Jugendlichen waren und wie sie ihre Fragen mit schulischem Wissen und persönlicher Überzeugung verknüpfen konnten. (SP)